Kolumne

Meine fünfte Kolumne

Schwerbehinderung in Deutschland

Das CRPS zu einer Schwerbehinderung führen kann ist mittlerweile wohl jedem Betroffenen bekannt. Die erkrankte Hand kann man vielleicht im Alltag noch ersetzen, wenn es nicht gerade die dominante Seite ist. Aber gerade Fuß- Betroffene haben durch Gehstützen oder gar einen Rollstuhl schon eine größere Beeinträchtigung, wofür es auch das Merkzeichen G für eine Gehbehinderung gibt.

Doch das dem zuständigen Schwerbehindertenamt seiner Stadt klarzumachen ist oft nicht einfach. Da stellt man einen Antrag auf Schwerbehinderung, gibt alle notwendigen Ärzte an, ja schickt sogar die entsprechenden Berichte gleich mit, und man erhält vielleicht einen Bescheid über 20% Behinderung unter dem Hinweis nach Aktenlage. Aber diese 20% Schwerbehinderung zeigen, dass sich der Sachbearbeiter nicht mal die Unterlagen angesehen hat. Solange der Prozentwert unterhalb von 50 % liegt, kann man mit 20% recht wenig anfangen. Darum sollte umgehend und sofort ein Widerspruch eingereicht werden, da hier immer Fristen für den Widerspruch gelten. Was viele nicht wissen, ist, dass man auch erst einmal keine Begründung für den Widerspruch angeben muss, denn diese kann auch nachgereicht werden und nimmt erstmal den Druck heraus. Bei der Begründung kommt es dann immer sehr auf den Wortlaut der Ablehnung oder des geringfügigen Prozentwerts an. Das CRPS Netzwerk kennt viele dieser Bescheide von Schwerbehindertenämtern und ist hier gerne behilflich.

Als bei mir der CRPS 2012 ausgebrochen ist, war ich recht schnell nicht mehr in der Lage, auch nur einen Schritt mit meinem erkrankten Fuß zu machen. Das hat mir mein behandelnder Arzt damals auch so bescheinigt. Dennoch hat das Amt diesen Bescheid nicht beachtet und den Fall gleich an die zuständige Bezirksregierung weitergegeben. Ich hatte damals auch gleich eine Auswahl von Bildern meines erkrankten Fußes beigefügt, da diese die sehr schlimme Ausprägung des CRPS an meinem Fuß eindrücklich gezeigt haben. Auch habe ich immer wieder darauf hingewiesen, dass man mich nur einmal begutachten müsste, um die Schwere und Auswirkungen der Erkrankung festzustellen. Aber wie auch bei Krankenkassen und anderen Behörden war (und ist leider teilweise noch heute) die Erkrankung CRPS überhaupt nicht bekannt, und das Komplexe Regionale Schmerzsyndrom wird eher als kurzfristige Unpässlichkeit angesehen.

Nach einigen Wochen hatte die Bezirksregierung mir dann eine Ablehnung eines höheren Prozentwerts und den Buchstaben G verweigert, da mein Arzt ja bestätigt hat, „dass ich noch mit dem Fuß laufen könnte“. Man hatte ganz einfach das kleine Wort „nicht“ übersehen.

Wenn dann ein Bescheid von der Bezirksregierung kommt, ist das Widerspruchsverfahren beendet und man kommt dort nicht weiter, denn dem Bescheid des Schwerbehindertenamtes wurde „abgeholfen“, wie es im Amtsdeutsch heißt.

Dann steht noch der Weg der Sozialklage offen. Die Klage wird beim zuständigen Sozialgericht eingereicht und man kann, wie viele nicht wissen, auch ohne Anwalt und ohne Kosten tätig werden. Ich wurde damals vom VDK vertreten, aber dort wurde mir mit dem Hinweis auf fehlende anwaltliche Vertretung gekündigt, so dass ich selbst vor Gericht auftreten musste. Aber das steht auf einem anderen Blatt. Dazu nur so viel: ich musste die Klage zurückziehen, weil ich nach Auskunft der Richterin keinen Anspruch auf die höhere Bewertung und Merkzeichen hätte, da ich ja nicht doppelseitig amputiert wäre. Dass man mit einem CRPS aber den Fuß oder die Hand nicht mehr benutzen kann, weil jede Berührung oder Betätigung zu höllischen Schmerzen führt, sein mal dahingestellt. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich aber bereits meinen linken Unterschenkel durch Amputation verloren. Durch diesen neuen Zustand hat man mir dann die 50% und das Merkzeichen G zugestanden, was mir zumindest eine vergünstigte Nutzung des ÖPNV möglich machte. Nach der zweiten Unterschenkelamputation und meinen Verschlim-merungsantrag noch aus dem Krankenhaus heraus – in NRW kann man diesen Antrag bereits komplett online stellen – wurde mir auch ohne Ehrenrunden und Widersprüche die Merkzeichen aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) und B (Begleitperson) zugestanden.

Mit diesen Merkzeichen bekommt man den blauen Schwerbehinderten- Parkausweis sowie die kostenfreie Mitnahme einer Begleitperson in der Bahn und in vielen Museen, Kinos usw. Der Prozentsatz, den ich daraufhin bekam, lag bei 90 %, wobei ich mich immer gefragt habe, wie es bei zwei fehlenden Beinen zu 90% kommt.

Aber hier sei kurz erklärt, dass die Prozentsätze nicht durch Addition von verschiedenen Erkrankungen gewährt werden, sondern sich immer an der größten behindernden Krankheit oder Einschränkung als Hauptaugenmerk orientiert.

Das Interessante an meinem neuen Schwer-behindertenausweis war aber, dass er auf ein Jahr befristet wurde. Wurde bei der Behörde etwa angenommen, dass die Amputation nur eine vorübergehende Unpässlichkeit wäre? Als ich den Ausweis im Folgejahr verlängern wollte, bin ich auch persönlich zum Schwerbehindertenamt der Stadt Köln gefahren und wollte genau hierfür einmal die Begründung in Erfahrung bringen. Ich habe dann den Sachbearbeiter auch klar gefragt, ob er der Meinung wäre, dass meine Beine wieder nachwachsen würden, wie bei Salamandern zum Beispiel. Das Schwerbehindertengesetz gibt für die Befristung eines Schwerbehindertenausweises keine Hinweise. Die Auskunft des Sachbearbeiters war auch weniger erhellend und lautete nur, dass das in Köln nun mal so wäre. Willkommen in Köln, wo es viele eigene „geklüngelte“ Regelungen gibt.

Und genau diese Eigenart meiner Heimatstadt sollte mir später noch mal in die Quere kommen. Denn als 2018 auch meine linke Hand in Beschlag des „Untermieters“ CRPS genommen wurde, habe ich wieder einmal einen Verschlimmerungsantrag gestellt. Dieser wurde auch bereits Anfang 2020 bearbeitet und abgelehnt, weil sich ja bei mir nichts Wesentliches geändert hätte. Nur dass ich mit einer zusätzlich erkrankten Hand meinen Alltag nur schlecht bewältigen kann, weil ich mir nicht einmal selbst meine Prothesen anziehen kann. Hier möchte ich nur kurz erwähnen, dass ich dank moderner Prothetik meinem CRPS an den Beinen Einhalt gebieten konnte, und wieder fast normal laufen und auch wieder meiner Arbeit nachgehen kann. Die Antwort der Stadt auf meinen Widerspruch, in dem ich auch mittels ärztlicher Unterlagen gleich anführte, dass ich zum vierten Mal mit CRPS an meiner rechten Hand gestraft bin, wurde mit einer Androhung der Aberkennung der Schwer- behinderung beantwortet. Da ich jetzt Prothesen hätte, wäre ich wieder einer gesunden Person gleichzustellen. Da fiel ich erstmal aus allen Wolken und war froh, dass ich nach dem Flop mit dem VDK gleich in den Sozialverband Deutschland eingetreten bin. Denn hier arbeiten viele Rechtsanwälte und fühlen sich für ihre Mitglieder auch verantwortlich. Denn mit Hilfe des SoVD und einigem Schriftverkehr wurde meine Akte bei der Stadt dann 2021 endlich wieder aus dem „Verspätungszimmer“ herausgeholt. Was das ist? Dort liegen alle Akten und Anträgen, die noch nicht bearbeitet sind. Und wenn man mal da gelandet ist, dann wird es für die Stadtbediensteten schwierig, etwas wieder zu finden. Schlussendlich habe ich gerade vor Kurzem einen Bescheid erhalten, dass ich nun zu 100% behindert bin. Warum denn nicht gleich so.

Mein Tipp an alle CRPS-Betroffenen lautet daher, dass Aufgeben keine Option ist, und dass man zwar um sein Recht kämpfen muss, aber es auch erhalten kann, auch gegen die Mühlen der deutschen Behörden. Lasst Euch unterstützen dabei, fragt das CRPS Netzwerk um Hilfe und lasst Euch nicht alles gefallen. Das Thema CRPS und Schwerbehinderung ist übrigens auch unser Leitthema im Arbeitskreis Patientenorganisationen in der Deutschen Schmerzgesellschaft. Hier versuchen wir auf gesundheitspolitischer Ebene, unsere Erkrankung und deren manchmal nicht absehbarer Ein-schränkungen bekannt zu machen.

Bis bald
und bleibt gesund
Euer Stefan

Dirk-Stefan Droste – Der 49jährige Kölner ist Gründer des CRPS Netzwerk gemeinsam stark e.V., einer bundesweiten Patientenorganisation für CRPS. Er ist selbst an allen vier Extremitäten vom CRPS betroffen. Es begann nach einem Fußbruch 2012. Er arbeitet als Fachkoordinator in der Personalabrechnung einer großen Organisation der Wohlfahrtspflege.

Dirk-Stefan Droste