Kolumne

Meine zweite Kolumne

Menschen sind nach dem Sozialgesetzbuch schwerbehindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist und wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 vorliegt. Als Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen Beeinträchtigungen und sozialen Auswirkungen gilt im Schwerbehindertenrecht der Grad der Behinderung (GdB). Er wird nach bundesweit einheitlichen versorgungsmedizinischen Grundsätzen bemessen.

Vor ein paar Tagen bekam ich ein Schreiben der Stadt Köln und fiel aus allen Wolken. Ich bekam den Hinweis auf die bevorstehende Aberkennung der Schwerbehinderung und der Merkzeichen. Als Begründung wurde angegeben, dass ich jetzt Prothesen hätte und dadurch die Benachteiligung durch eine Schwerbehinderung weggefallen wäre. Auslöser war mein Verschlechterungsantrag von vor zwei Jahren, als sich der CRPS an meiner linken Hand zeigte. Die Einschränkung an der Hand wurde gar nicht berücksichtigt. Mittlerweile ist auch die rechte Hand betroffen, wurde aber ebenfalls nicht in die Beurteilung eines Behinderunggrads einbezogen. Nun bin ich gespannt wie mein Einspruch – denn ein Widerspruch kann nur auf einen Bescheid gestellt werden – seitens der Stadt gewertet wird.  Bisher gibt es nur eine schriftliche Information vor einem Bescheid. Aber ich fange mal am Anfang meiner Schwerbehinderungsgeschichte an:

Nachdem ich durch den CRPS direkt von Anfang an nicht mehr laufen konnte, war ich auf einen Rollstuhl angewiesen. „Eine Fortbewegung ohne Hilfsmittel war maximal null Meter möglich.“ (Das ist die offizielle Aussage meiner behandelnden Ärzte und entsprechend der Definition für die Erteilung von Graden der Behinderungen und Merkzeichen). Ich wurde nach vorliegenden Berichten „begutachtet“ und bekam die üblichen 20%. Nach mehreren Widersprüchen und Vorlage weiterer Arztberichte und sogar Einreichung von Bildern meines Fußes entschied auch die Bezirksregierung, dass ich in der Lage wäre, problemlos 100 m ohne Hilfsmittel zurückzulegen.

Daraufhin habe ich Hilfe beim VDK in Köln gesucht. Ich habe eine Mitgliedschaft mit dem Verband der Kriegs- und Wehrdienstopfer, Behinderten und Sozialrentner abgeschlossen und darauf gehofft, dass diese Experten mir helfen können, meine Ansprüche als Behinderter durchzusetzen. In Köln scheint es nun sehr viele Hilfesuchende beim VDK geben, denn es war fast unmöglich, einen Termin zu bekommen, denn ohne Termin keine Beratung. Nach dem ersten Beratungsgespräch von etwa zehn Minuten war klar, dass nur eine Klage vor dem Sozialgericht Aussicht auf Erfolg hat. Hierfür bräuchte ich aber einen neuen Termin. Da ich diesen nicht zeitnah bekommen konnte, habe ich die Klage selbst mit einer Nachreichung der Begründung eingereicht. Auch die Begründung habe ich dann selbst geschrieben und eingereicht, weil – wen wundert es – ich keinen Termin beim VDK bekam. Und dann passierte gar nichts mehr, außer dass ein paar Mal Post vom Gericht durch den VDK an mich weitergeleitet wurde.

Ich bekam einen Termin bei einem Gutachter, zu dem ich dann auch im Rollstuhl und per Taxi pünktlich erschien. Das augenscheinliche Problem war aber, dass die Praxis im Tiefparterre lag und es keinen Aufzug gab. Nach Kommunikation mit dem Arzt über die Sprechanlage, in der er mich bat, die paar Stufen doch zu Fuß herunterzukommen und meiner Weigerung, schloss er das Gespräch mit der Aussage, dann könne er mich nicht begutachten. Also musste ich auf einen neuen Termin bei einem anderen Gutachter warten.

Die Behandlung meines betroffenen Fußes ging nun bereits in das dritte Jahr und blieb erfolglos und nach langer Recherche und Erarbeitung mit meinem behandelnden Arzt und Psychotherapeuten bat ich einen CRPS-Spezialisten in der Uniklinik Köln um die Amputation meines linken Unterschenkels, auch mit dem Wissen, dass CRPS unheilbar ist. Aber die Aussicht auf ein Leben ohne Rollstuhl und mehr Lebensqualität bestärkte mich in meinem Entschluss, die Amputation des Unterschenkels vornehmen zu lassen. Dank guter Prothesenversorgung war ich schnell wieder „auf zwei Beinen“ unterwegs.
Nun war seit dem „Gutachter-Treppenproblem“ ein weiteres Jahr vergangen und ich bekam einen neuen Termin bei einem Gutachter mit ebenerdigem Zugang. Ich konnte meine Prothese nicht tragen, weil sie nicht mehr passte und fuhr im Rolli zum Termin. Der Arzt stellte nach Röntgen meines Stumpfes und weiterer Untersuchungen meines Körpers fest, dass ich vom CRPS geheilt wäre. Mein Intervenieren, dass ich die Klage bereits zwei Jahre vorher eingereicht habe und es da noch andere Gegebenheiten (erkrankter Unterschenkel) gab, wischte er einfach weg, da er mich ja nun mal jetzt untersuchen würde, und ich wäre kerngesund. Das zeigte auch sein Gutachten, welches ich im Original per Post vom VDK nur durchgereicht bekam.

Daraufhin schrieb ich an die Geschäftsleitung des VDK und beklagte mich, dass ich keinerlei „Rechtsberatung“ erhalten habe, so wie es den Mitgliedern zugesichert wird. Es wurden lediglich Schreiben per Post an mich weitergeleitet, ohne mich weiter zu beraten oder als Sozialverband selbst aktiv geworden zu sein. Weiterhin habe ich auch das falsche Gutachten auseinandergenommen und kommentiert. Als Reaktion darauf bekam ich die schriftliche Kündigung des VDK und bereits eine Woche später erhielt ich eine Vorladung zum Sozialgericht, um über meine Klage von vor zwei Jahren zu entscheiden. Die Richterin lass mir den Gesetzestext vor, nachdem mir mit gutem Willen maximal 50 Prozent zustehen würde, wenn ich meine Klage zurückziehen würde. Etwas anderes blieb mir auch gar nicht übrig, denn eine anwaltliche Vertretung konnte ich mir als EU-Rentner nicht leisten.
Mit der Prothese konnte ich glücklicherweise die EU-Rente beenden – das ist eine andere hochspannende Geschichte für ein anderes Mal – und an meinen Arbeitsplatz zurückkehren. Der Schwerbehindertenausweis wurde mit 50 Prozent ausgestellt, aber befristet für ein Jahr. Glaubte die Schwerbehindertenabteilung der Stadt Köln wirklich, dass das Bein nachwächst und ich dann keine Behinderung mehr habe?

Zur Verlängerung des Ausweises nach einem Jahr begab ich mich dann persönlich zur Stadt und legte dem Sachbearbeiter mein kurzes Bein auf den Schreibtisch und fragte, ob das unbefristet sei und ob ich in einem Jahr meinen linken Fuß wieder zurückbekäme. Die Aussage darauf war nur, dass diese Regelung in Köln so wäre. Wenn wir zurückscrollen zum Anfang meiner Kolumne, kann man lesen, dass bundesweit einheitliche versorgungsmedizinische Grundsätze angewendet werden.
Aber in Köln gibt es anscheinend eigene bundeseinheitliche Grundsätze. Dass andere Integrationsämter oder städtische Schwerbehindertenreferate auch nach eigenen Grundsätzen handeln zeigen Berichte anderer CRPS Betroffener, die ohne invasive Maßnahmen wie einer Amputation teilweise auch mit allen möglichen Buchstaben und GdB‘s über die Grenze von 80 Prozent bewertet werden. Und hier geht es teilweise um handbetroffene Personen.

Nun zog der Mistkerl ( mein Sudeck) ohne Vorwarnung in meinen rechten Unterschenkel ein und verhielt sich gleich viel aggressiver als auf der linken Seite. Sämtliche Therapiemaßnahmen ließen ihn kalt und und nach einem Jahr entschied ich mich für ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Und am linken Unterschenkel ist es ja auch gut gegangen. Die zweite Amputation wurde ebenfalls professionell prothetisch versorgt und meinem erneuten Start in das Berufsleben stand nichts mehr im Weg. Meinem Verschlimmerungsantrag noch aus dem Krankenhaus heraus wurde ohne Umschweife zugestimmt und ich erhielt einen neuen Schwerbehindertenausweis mit 90 Prozent, Merkzeichen aG und B (außergewöhnlich gehbehindert und Begleitperson), obwohl ich das nach dem Desaster vor dem Sozialgericht gar nicht beantragt hatte. Dem Ausweis lag auch gleich der blaue europäische Parkausweis für Schwerbehinderte bei, mit dem ich ab sofort auf besonderen Parkplätzen parken darf. Da ich durch meine Medikamente niemals ein Fahrzeug selbst bewegen würde, obwohl keiner meiner Ärzte mir jemals sagen würde, dass ich mit dem Pharmacocktail nicht fahren dürfte. bin ich also Beifahrer. Aber man sollte einmal versuchen, mit zwei Prothesen aus einem Auto in einer Standardparklücke zu kommen. Das ist einfach nicht möglich, da ich meine Beine nicht falten kann. Denn Behindertenparkplätze sind immer überbreit und geben mir die Möglichkeit, überhaupt aus dem Fahrzeug ein- und auszusteigen.

Ich habe immer eine große Motivation und habe stark daran gearbeitet, wieder auf die Beine zu kommen. Mit den heutigen Prothesen ist das auch gut möglich. An guten Tagen kann ich auch mal eine Strecke zwischen zwei U-Bahnstationen laufen, weil sowohl die Rolltreppe als auch der Aufzug an meinen U-Bahnstationen entweder seit Monaten defekt oder gar nicht vorhanden sind. Doch auch mit guten Prothesen fällt mir das Treppensteigen schwer und erzeugt an meinen Stümpfen außergewöhnliche Stöße, die wiederum zu Nervenschmerzen führen und mich dann hindern normal mit den Prothesen zu laufen. Ich kann sagen, dass ich keine Phantomschmerzen habe, worüber ich enorm glücklich bin, und was wohl an besonderen Vorsichtsmaßnahmen meines Chirurgen liegt, der sich bestens mit CRPS auskennt.

Aber CRPS kommt auch wie ein Phantom daher, denn es zeigt sich in meinen Beinstümpfen und nicht außerhalb. Somit sind die Tage, an denen ich etwas weiter laufen kann oder auch schon mal öffentliche Verkehrsmittel nutze, tagesformabhängig. Und dass ein CRPS-Betroffener öfters schlechte Tage hat, ist allen Lesern bekannt.

Wie ich in meiner letzten Kolumne geschrieben habe, ist die Technik der Neuromodulation mit einer SCS weit vorangekommen und konnte mich an meinen Händen weitestgehend schmerzfrei machen. Aber auch hier gibt es gute und schlechte Tage und es muss hier und da noch an den Einstellungen meiner SCS geschraubt werden. An manchen Tagen erlauben mir meine betroffenen Hände aber nicht einmal, mir meine Prothesen selbst an- oder auszuziehen. Ohne eine helfende Hand kann ich dann nicht aus dem Haus, oder komme von irgendwo nicht mehr weg, weil die Prothese nicht mehr passt oder ähnliches. Das erinnert mich gerade daran, dass eine Pflegestufensachbearbeiterin einmal zu mir sagte, dass ich keine Pflegestufe oder einen Badumbau brauche, da ich ja mit Gehstützen ins Bad gehen könnte und mich am Waschbecken waschen könnte. Duschen wäre daher nicht notwendig.
Mal sehen, ob die Stadt Köln auch meinen Einspruch so übersieht, wie meine hinzugetretenen Erkrankungen mit CRPS an beiden Händen oder ob sie nach ihren eigenen bundesweit einheitlichen versorgungsmedizinischen Grundsätzen urteilen und mich für nicht mehr schwerbehindert halten.
Schönen Tag noch und passt auf Euch auf, denn Corona geht um.

Bis demnächst, und bleibt gesund!
Euer Stefan

Dirk-Stefan Droste

Dirk-Stefan Droste – Der 49jährige Kölner ist Gründer des CRPS Netzwerk gemeinsam stark e.V., einer bundesweiten Patientenorganisation für CRPS. Er ist selbst an allen vier Extremitäten vom CRPS betroffen. Es begann nach einem Fußbruch 2012. Er arbeitet als Fachkoordinator in der Personalabrechnung einer großen Organisation der Wohlfahrtspflege.