28. Februar 2020
Artikel erschienen auf: vfa.patientenportal – Eine Initiative der forschenden Pharma-Unternehmen
Der 46-jährige (Anm.d.R.: heute 48) Dirk-Stefan Droste hat seit sieben (Anm.d.R.: neun) Jahren Morbus Sudeck, eine seltene Erkrankung. Der Kölner, der im CRPS Netzwerk aktiv ist, ließ sich beide Unterschenkel amputieren. Wie er dadurch wieder mehr Lebensqualität erlangen konnte, erzählt er im Interview.
Herr Droste, was kann man sich unter CRPS vorstellen?
CRPS (Complex regional pain syndrome, Anm. d. Red.) ist ein mechanisches Trauma nach einem Bruch, einer Prellung, einem Hundebiss oder Insektenstich und wirkt auf sämtliche Gelenke – dort, wo es Bewegung gibt. Der Körper reagiert mit einer Entzündungsreaktion in den Extremitäten, die nicht bakteriell ist, sondern vom Nervensystem gesendet wird: Der Nerv macht etwas anderes als das, wofür er da ist.
Welche Symptome treten auf?
Die Entzündung entgleist, deshalb wird es „Heilentgleisung“ genannt. Symptome sind Schwellungen, Verfärbungen, Schmerzen oder Bewegungseinschränkungen.
Die Ursache der Erkrankung ist noch vollkommen unbekannt. Es gab viele Forschung zur Entwicklung eines Medikaments, aber seit 2012 wird in diesem Bereich in Deutschland aktiv nichts mehr gemacht. In England, Niederlande, Ungarn oder Italien findet aber Forschung statt – von dort bekommen wir unsere Informationen.
Welche Erkenntnisse gibt es bisher?
Nach neuen Annahmen geht es in die Richtung Autoimmunerkrankung – man hat Antikörper gefunden. Da muss man dranbleiben. Wir als CRPS Netzwerk versuchen Ärzte in Deutschland zu finden, die das Gleiche bestätigen und wollen, dass Mediziner daran forschen. Es ist immer eine Geldfrage, deshalb müssen wir Spenden aquirieren. CRPS ist sehr nah am Thema Fibromyalgie und Multiple Sklerose. Wir versuchen durch Kooperationen mit der Deutschen Schmerzgesellschaft Parallelen zu finden und tauschen uns aus. Warum soll ich das Rad neu erfinden, wenn Fibromyalogie medikamentös vielleicht den gleichen Weg geht? Auch das Restless Legs Syndrom ist gar nicht so weit von CRPS entfernt. Wir als CRPS Netzwerk arbeiten auch mit Patientenorganisationen zusammen, denn gemeinsam schaffen wir es vielleicht, Forschung zu starten oder etwas in der Politik zu bewegen. In Kürze beginnen wir eine neue weltweite Studie, um eine Datenbasis zu CRPS in unterschiedlichen Ländern gegenüberzustellen.
Warum wird in Deutschland nicht mehr aktiv geforscht?
Es findet nicht viel Forschung statt, weil es eine seltene Erkrankung ist: 2017 gab es laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung 87.000 Betroffene in Deutschland. Pharmaunternehmen sagen, das lohnt sich nicht. Viele Ärzte meinen, die Krankheit ist zu selten, viele kennen sie gar nicht. Forscher aus Mainz und Bochum gaben irgendwann auf, weil sie nicht die passenden Ergebnisse hatten, wie sie sagten.
Wie kann man sich den Schmerz vorstellen?
Stellen Sie sich vor, Sie überschütten Ihre Hand mit Benzin und das bleibt dann so. Man kann es sich wie eine Art brennenden Schmerz vorstellen, wie ein Feuer in der Hand. Die Schmerzen kommen oft in Ruhephasen und können in Schüben auftreten. Schmerz ist natürlich immer eine individuelle Sache.
Kann man akut etwas gegen den Schmerz tun?
Es wäre gut, ein Notfallmedikament zu haben, um auf solche Spitzen reagieren zu können. Bei mir hilft autogenes Training sehr schnell. Hilft alles nichts, muss ich mein Morphium nehmen. Medikamente sind nach wie vor das Wichtigste, denn der Schmerz kann so extrem werden. Diese Arzneimittel führen aber leicht in eine Abhängigkeit und man muss immer wieder einen Entzug machen, um bei null anfangen zu können. Bei meinem linken Fuß vor drei Jahren half kein Morphium mehr, danach bekam ich Metadon. Es gibt keine Heilung, man kann nur die Symptome lindern.
Was waren die ersten Anzeichen bei Ihnen?
Bei mir ist es durch einen Bruch entstanden. Ich stürzte auf eine Treppe und brach mir das Fersenbein. Danach bildeten sich unerklärliche und kaum zu ertragende Schmerzen aus. Ich rannte von Arzt zu Arzt. Nach einem Jahr bekam ich die Diagnose CRPS – auch Morbus Sudeck genannt. Man versucht es durch ein Ausschlussverfahren zu diagnostizieren. In den 1990er-Jahren sind Diagnosekriterien – die sogenannten Budapest-Kriterien – festgelegt werden. Bei intensiver adäquater Therapie und schneller Prognose innerhalb der ersten drei bis sechs Monate besteht die Hoffnung, die Krankheit wieder loszuwerden. Man sagt, dass der CRPS dann „ausbrennt“. Bei mir war das leider nicht der Fall.
Würde ein normaler Arzt, der kein Schmerzmediziner ist, CRPS erkennen?
Ein normaler Hausarzt kann das, wenn er die Budapest-Kriterien kennt. Aber leider stellt nicht jeder Arzt die Diagnose, denn da hängen Kosten bis zu 30.000 Euro dran. Bei einem anderen Arzt bekommt man dann vielleicht sofort die Diagnose. Es ist gut, ein aufgeklärter Patient zu sein und es zeigt sich mehr und mehr, dass die Diagnosestellung oftmals vielmehr über Therapeuten wie etwa Physiotherapeuten kommt. Mein behandelnder Arzt hatte mich damals als Simulant bezeichnet.
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?
Wir raten sehr schnell zu einer multimodalen Schmerztherapie, also eine stationäre Therapie. In einem stationären Setting kann man viel mehr ausprobieren, denn jeder Sudeck ist anders. Es zeigt sich immer mehr, dass die klassische Stadieneinteilung der Krankheit nicht immer gilt und jeder Patient anders reagiert.
Wie werden Sie behandelt?
Ich habe dreimal pro Woche Lymphdrainage, zweimal pro Woche Ergotherapie, einmal pro Woche Psychotherapie und ich mache zu Hause Spiegeltherapie und Entspannungsmaßnahmen. Der Stundenplan ist sehr hoch. Bis zu 70 Prozent der Betroffenen sagen, sie werden durch diese Therapien symptomfrei. Man muss aber kontinuierlich dranbleiben, damit es nicht schlechter wird.
Wie genau wird dann vorgegangen?
Es wird zunächst versucht, mit Medikamenten wie Opiaten zu arbeiten. Physiotherapie ist auch ganz wichtig, um die Bewegung, die noch da ist, fortzuführen. Wenn deine Hand letztlich steif geworden ist, sodass du sie nicht mehr benutzten kannst, sollte diese vorsichtig behandelt werden. Zudem ist Lymphdrainage ein wichtiges Thema – um ganzheitlich zu arbeiten und die Heilungsphase zu fördern. Auch Ergotherapie und die Spiegeltherapie sind sehr gut. Man weiß, dass CRPS mit Veränderungen im Gehirn einhergeht – das greift die Spiegeltherapie durch visuelle Stimulation auf.
Wie ging Ihre Geschichte weiter?
Nach drei Jahren beschäftigte ich mich mit dem Thema Amputation. Ich lag im Krankenhaus und konnte nicht mehr. Während der Entscheidungsfindung sprach ich mit Patienten, die diesen Weg gegangen waren. 2012 war Amputation aus der Leitlinie für CRPS herausgenommen worden, weil es keine Heilung des Ganzen ist. Für mich stand fest: Ich kann es zwar nicht heilen, aber damit wieder Lebensqualität bekommen. 2015 wurde mir mein linker Unterschenkel amputiert und die Schmerzen waren weg. Durch die Prothesen habe ich wieder ins Leben zurückgefunden. Ich konnte in den Job zurückkehren, wieder in den Urlaub fahren, Auto fahren oder schwimmen. Anderthalb Jahre später ist es dann leider am anderen Fuß aufgetreten.
Was haben Sie dann unternommen?
Ich machte über ein Jahr eine stationäre Schmerztherapie. Mir wurde ein Schmerzgenerator implantiert und die Schmerzmittel sind wieder hochgefahren worden. Nach einem halben Jahr traf ich die Entscheidung: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende und ließ mir 2016 den rechten Unterschenkel amputieren. Es war eine Entscheidung für das Leben. In Deutschland ist Amputation selten und man muss vorher eine psychotherapeutische Abgrenzung haben. Wieder anderthalb Jahre später trat es an meiner linken Hand auf – durch eine sofortige stationäre Therapie und Reha habe ich meine Hand wiederbekommen. Mir wurde ein Schmerzgenerator implantiert, wodurch meine Hand schmerzfrei ist. Dieser sendet Elektroimpulse in den Nerv und verhindert dadurch, dass die Schmerzen sich im Gehirn ausbreiten können. Leider muss ich sagen, dass es an Weihnachten 2019 nun auch an meinem rechten Handgelenk aufgetaucht ist – wenn es schlimmer wird, lasse ich mir dort auch einen Generator implantieren. Diese Neurostimulation hat auch den Weg in unsere Leitlinie gefunden.
Vielen Dank für das Gespräch!
Quelle: via.patientenportal