Obacht bei Schmerzkranken!
Von Dr. Thomas Meißner
Die Opioid-induzierte Androgendefizienz (OPIAD) wird bei Schmerzkranken oft missdeutet und übersehen. Die Ärzte Zeitung bringt Licht ins Dunkel.
Veröffentlicht: 24.06.2022, 13:52 Uhr
Bad Honnef. Bei Männern wie bei Frauen unter Dauertherapie mit Opioiden treten häufig Symptome eines Hypogonadismus auf. Diese würden vielfach unterbewertet und nicht erkannt, berichtet Privatdozent Dr. Stefan Wirz, Cura Krankenhaus in Bad Honnef (Uro-News 2022; 26:28–33). Derzeit muss bei über 60 Prozent der Männer mit dauerhafter Opioidmedikation von einer Androgeninsuffizienz ausgegangen werden.
Bei 15 bis 24 Prozent der Patienten beider Geschlechter liege ein Hypokortisolismus vor, eine Hyperprolaktinämie werde bei bis zu 40 Prozent der mit Opioiden behandelten Patienten beschrieben, so Wirz. Der Anästhesiologe und Schmerzmediziner fordert zu verstärkter Aufmerksamkeit bei Opioid-behandelten chronischen Schmerzpatienten auf.
Denn die Opioid-induzierte Androgendefizienz (OPIAD) hat unter Umständen gravierende Auswirkungen auf die Lebensqualität. Sie kann vor allem bei Menschen über 50 Jahren und im Zusammenhang mit Komorbiditäten Komplikationen wie metabolische Veränderungen, Anämie oder Osteoporose bewirken.
Komplexe Diagnostik
Die Diagnostik einer OPIAD ist komplex, weshalb die urologische oder endokrinologische Expertise in Anspruch genommen werden sollte. Als häufige Symptome einer OPIAD gelten Stimmungsschwankungen oder depressive Verstimmung, kognitive Störungen, Muskelschwund, Anämie, Gewichtszunahme mit Glukoseintoleranz und Dyslipidämie, Libidoverlust, Gynäkomastie, Oligo- oder Amenorrhö und Galaktorrhö. Weiter werden Hitzewallungen, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit und anderes mehr beschrieben.
Bei Verdacht auf OPIAD sollte zumindest das Gesamt- und das freie Testosteron im Blut bestimmt werden. Ein Gesamttestosteron-Wert von unter 8 nmol/l ist erniedrigt, Werte zwischen 8 und 12 nmol/l gelten als kontrollbedürftig. Die weitere Labordiagnostik leitet sich aus den verschiedenen Funktionsstörungen der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse ab.
Zur Diagnostik eines Hypogonadismus bei Frauen gibt es keine Leitlinien oder Empfehlungen. Erschwerend kommt hinzu, dass der OPIAD verschiedene Mechanismen zugrunde liegen, die nicht vollständig verstanden werden. Darüber hinaus scheinen verschiedene Opioidzubereitungen unterschiedlich stark eine OPIAD zu begünstigen.
Therapeutisch kommt oft keine Reduktion der Opioiddosis infrage. Empfohlen wird teils eine Opioidrotation. Nach urologischer oder endokrinologischer Vorstellung kann unter Abwägung des potenziellen Nutzens und des Risikos sowie Ausschluss von Kontraindikationen eine Androgenersatztherapie erwogen werden.